Der Preis der Freiheit ist Verantwortung – Unternehmensethik und Leitbildentwicklung

Die Komplementär­größe zur Macht muß die Verant­wortung sein, eine bewusst reflektierte Verant­wortung.

Hans Jonas

Ein Buchtitel wurde nicht zufäl­lig reichlich strapaziert: die Risikogesellschaft (Ulrich Beck). Das Wort ist leicht nachvoll­ziehbar, weil wir alle tagtäglich mit Risiken leben und diese auch ziem­lich genau benennen kön­nen:  Autounfälle, Krebsrisi­ken, Stress, Kern­kraftwerke, strahlender Atom­müll, Klimawandel – nur eine kleine Auswahl der uns begleiten­den Risi­ken. Früher war es eine unberechenbare Natur, die menschli­ches Leben riskant machte – die mo­derne Technologie hat sie weitgehend gezähmt, uns aber neue Risiken zuhauf beschert. Man kann dies ignorieren und verdrän­gen oder eine Weltunter­gangs­stimmung mit ent­sprechen­den Szena­rien beschwören. Beides sind keine erwach­senen Verhal­tensweisen. Ich plä­diere für eine Kultur der Verantwor­tung als Weg der Mitte. Wo Verantwortung in einem dialogi­schen Pro­zess – dazu gehört auch der Streit – entwickelt und entfal­tet wird, setzt sie schöpferi­sche Potentiale für eine bewusste und menschli­che Zukunftsgestaltung frei.

Verantwortung in der organisierten Gesell­schaft

Damit der Ruf nach Verant­wor­tung aus dem Sta­dium der Sonntagsreden her­auskommt, braucht es vor allem eine Verantwor­tungskultur der Unterneh­men und Organisationen. Wir sind gewohnt ver­ant­wortliches Han­deln von Individuen zu verlangen. So wichtig das ist, es ist zu wenig in einer „organisierten Gesell­schaft“, die wir nun einmal haben. Ent­schei­dungen, die mit weitreichen­den Fol­gen und Risiken ver­bunden sind, werden heute nicht von ein­zelnen getroffen. In der Politik wird Ver­antwortung zwar be­stimmten Personen zuge­ordnet, doch ihre Entschei­dungen sind eingebettet in ein kompliziertes Geflecht von Gre­mien, Sit­zungen und Abstimmun­gen. Im Bereich der Wirt­schaft handeln Unterneh­men. „IBM hat entschie­den…“ „Daimler will…“ „BASF wird…“ – so lesen wir es täglich in der Zei­tung. Na­men von Per­sonen tau­chen nur am Rande auf. Ver­antwortlichkeit als Grundhaltung von Unter­nehmern muss ergänzt wer­den durch eine Verant­wor­tungskultur des Unterneh­mens. Dies gilt es durchzubuch­stabieren – unternehmens­poli­tisch, organisatorisch, im Hinblick auf die Personalentwicklung bis hin zur Öffentlichkeitsarbeit.

Sinn­volles Arbeiten

Ein konkreter Schritt dazu kann eine Leitbildentwick­lung sein. Damit stellt sich ein Unter­nehmen seiner Verantwor­tung. Natürlich kann man dies von einer Expertenkom­mission abar­beiten, vom ghost-writer klangvoll formu­lieren und vom Werbedesi­gner auf Hochglanz­papier stilisieren las­sen. Leitende Kraft wird von diesem Leicht-bild nicht aus­gehen. Ein Leit-bild, das diesen Namen verdient, erfüllt minde­stens fünf Funktionen: Es definiert die Identität des Unternehmens, formu­liert den Stil der Zu­sammenarbeit und der Füh­rung, es benennt mittel- und langfri­stige Zukunfts­per­spektiven und es beschreibt das eigene Selbstverständ­nis im gesamtgesellschaft­lichen Zusammen­hang. Leit­bildentwick­lung rührt also an den inneren Kern des Unternehmens. Es han­delt sich dabei um einen dia­logischen Prozeß innerhalb des Unter­nehmens und um eine Veröffentlichung der eigenen Werte, Ziele und Prioritäten. Wird dies mutig und behutsam in Gang ge­setzt, bringt es viele Chan­cen. Es gibt der Arbeit der Mitarbeitenden Sinn, zu dem sie auch öffentlich stehen können. Es wird das Unter­nehmen in die Öffentlichkeit bringen – nicht durch Skan­dale sondern durch unter­nehmerische Antwor­ten auf Anfragen der Menschen angesichts realer Risiken. In einer pluralen Medienge­sellschaft ist diese Form der Öffentlich­keits-Arbeit ein nicht zu unterschätzender strategischer Vorteil.

Öffentlicher Dialog statt Verordnungen

Zwischen Verdrängen und Beklagen von Problemen und Risi­ken liegt die unter­nehmerische Haltung der Verantwortung. Verantwor­tungskultur von Unterneh­men und Organisationen ist die Alternative zu ständig noch mehr Regulierung und Bürokratisierung. Anders ausgedrückt: Nehmen Un­terneh­men aktiv ihre Ver­antwortung wahr, dann muß der Gesetzgeber weni­ger eingreifen. Deshalb ist eine Kutur der Verantwortung von Organisationen und Unter­nehmen die konsequente Wei­terentwicklung der freien Marktwirt­schaft: Der Preis der Freiheit ist Verant­wortung.

Meinrad Bumiller

Der Wind des Wandels – Haltungen, Strukturen und Kultur beim Veränderungs-Management

Wenn der Wind des Wandels weht, bauen die einen Mauern und die anderen Windmühlen.

Aus China

Wandel wird zur Norm

Wandel ist eines der meist strapazierten Wörter der Gegenwart. Kaum ein Leitartikel, der nicht irgendeinen Wandel konstatiert, beschwört oder beklagt. Manche Institutionen reagieren auf soviel Wandel gelassen: Entwicklungen kommen und gehen, wir bleiben bestehen. Im Trubel der Innovationskongresse und der betrieblichen Umstrukturierungshektik ist eine solche Haltung wohltuend. Doch kann sich irgendeine Organisation dies auf Dauer leisten, ohne ihre Existenz zu gefährden?

Einige Stichworte können die Dramatik des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandels kurz illustrieren.

  • Technologische Revolutionen: In der Computertechnik, der Telekommunikation, der Künstlichen Intelligenz, der Chemie, der Robotertechnik, im Transportwesen und – emotional am bewegendsten – in der Gentechnologie jagt eine Neuerung die andere.
  • Strukturwandel: Berufliche Arbeit entwickelt sich von der Produktions- zur Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft, das Berufsbild vom lebenslang Angestellten zum lebenslang lernenden Selbstunternehmer.
  • Globalisierung: Nationale Schrebergarten-Mentalität ist zu Ende – eine neue Weltordnung bisher nur ein frommer Wunsch. Was immer irgendwo auf der Welt geschieht, hat ziemlich schnell Auswirkungen rund um den Erdball. Das gilt nicht nur für die Corona-Pandemie.
  • Wertewandel: Individualisierung wird zum kollektiven Schicksal, Selbstverwirklichung löst die Pflichtenethik ab, bunte Vielfalt bestimmt die Wertelandschaft von der kleinen Beziehungswelt bis zu den großen Deutungssystemen.

Angesichts der hier nur angedeuteten Veränderungsdynamik kann es nicht verwundern, daß zumindest Unternehmen, die auf dem freiem Markt agieren, nicht einfach weitermachen können wie gewohnt. Ohne Anpassung an eine veränderte Umwelt, werden sie schlicht nicht überleben. Inzwischen sind aber auch Organisationen, die, aus welchen Gründen auch immer, vom harten Wettbewerb des Marktes verschont waren, unter Druck geraten: Verbände, das Gesundheitswesen, soziale Organisationen, Kirchen, die öffentliche Verwaltung… Deren Existenz ist sicher nicht gleich gefährdet, wenn sie Veränderungen verweigern. Was zur Debatte steht, ist nicht ihr Fortbestand, wohl aber ihre Wirkungskraft, ihre Präsenz in der Gesellschaft.

 „Wenn der Boden unter deinen Füßen plötzlich weg ist…“ – Dynamik des Wandels

Wenn ein Haus umgebaut wird, mag danach alles viel schöner und praktischer sein – für die Bewohner gibt es zunächst einmal ein großes Tohuwabohu. Beim Umbau von Organisationen spricht man mit leichtem Understatement von Irritationen. Gewohnte Abläufe funktionieren nicht mehr, althergebrachte Regeln sind außer Kraft, vertraute Rezepte versagen.

Menschen sind keine Computer, die neue Eingaben nur durchrechnen müssen, bis sie wieder alles auf der Reihe haben. Dramatische Veränderungen lösen Unsicherheiten und Ängste aus. Diese sitzen tief. Rationale Argumente helfen da wenig. Veränderungsprojekte in Organisationen sind deshalb schmerzhafte und strittige Prozesse. Konfrontation und Konflikte sind an der Tagesordnung; Aufregung bis zum Aufruhr ist eine normale Begleiterscheinung; Emotionen und manchmal Eskalation gehören dazu. Durch rechtzeitiges Informieren, durch argumentatives Begründen, durch Beteiligung aller, durch Begleitung von externen Beratern können Veränderungsprozesse bewußt gesteuert werden. Irritationen, Unsicherheit und Ängste werden trotzdem unweigerlich kommen. Das zu wissen und sich darauf einzustellen, ist die erste Voraussetzung für die hohe Kunst, den Wandel zu managen.

Gibt es nicht auch die Faszination des Neuen? Natürlich gibt es die, auch in Organisationen. Nur ist sie schnell vorbei, wenn eine Organisation die erste Veränderungswelle mit entsprechenden Turbulenzen erlebt. In einer abgesicherten Wohlstandsgesellschaft und in ausgebauten Organisationen haben viele etwas zu verlieren und sind deshalb tendenziell eher skeptisch, was Veränderungsprojekte angeht. Es kann ja auch schlimmer kommen…

Viele Veränderungsprozesse in Organisationen kommen dann in Schwierigkeiten, wenn Vertrautes aufgegeben und Ungewohntes eingeführt wird, wenn das traditionelle Gleichgewicht eines Systems in Bewegung kommt und ein neues noch längst nicht in Sicht ist. Das ist die Stunde des Widerstandes, der Besitzstandswahrung, der Machterhaltung. Reformer rufen immer auch Reaktionäre auf den Plan.

Widerstand formiert sich, meistens eher verdeckt und diffus als offen und klar. Kein Grund zur Panik, meinen erfahrene Change Manager. Vielmehr eine Chance, jetzt die angefangenen Veränderungen zu überprüfen, sie falls nötig, noch einmal zu modifizieren und das Neue bewußt einzuüben und zu integrieren. Widerstand in Veränderungsprozessen verhindert die billigen, simplen Lösungen, diktiert von Managementmoden. Insofern hat Widerstand eine kritisch-konstruktive Funktion.

Gelingt es allerdings nicht, den Widerstand in einem dialogischen Lernprozeß aufzuarbeiten, dann bleiben nur zwei Möglichkeiten: Entweder der Widerstand wird mit Gewalt gebrochen. Meistens wird dies zu einem Pyrrhussieg, weil eine Organisation dadurch so viele „Verwundungen“ erfährt, daß Motivation und Leistungsbereitschaft für lange Zeit sinken. Oder das Unternehmen begibt sich zurück zum Ausgangspunkt: „früher war ja alles besser“. Das Reformvorhaben ist gescheitert. In Zeiten des allgemeinen Wachstums war das weiter nicht schlimm – in Zeiten allgemeinen Wandels ist es möglicherweise der Anfang vom Ende.

Ein Kompass für unsere Zeit –
Leitbilder und Prinzipien für den Wandel

Wer mitten in einer wilden Brandung schwimmt, verliert leicht die Orientierung. Er braucht Zielvergewisserung. Wenn sich eine Organisation auf das Wagnis des Wandels einläßt, tut sie gut daran, ihre Vision von dem, was sich verändern soll, genau in den Blick zu nehmen. Wer nicht weiß, wohin er will, braucht sich nicht zu wundern, wenn er nirgends ankommt.

Kunden, Qualität und Prozesse

Kundenorientierung meint, den Kunden genau in den Blick zu nehmen, denn er (oder sie) ist die Letztinstanz, die über die Zukunft eines Unternehmens entscheidet. Grundsätzlich war dies den Unternehmern immer klar, in Zeiten eines verschärften, weltweiten Wettbewerbs aber muß es konsequenter und kreativer betrieben werden. Es gilt die Bedürfnisse des Kunden genau zu erfassen, mehr noch als sie dem Kunden selbst bewußt sind. Kunden sind heute wählerisch, ihrer Macht bewußt, von Medien informiert, sie haben spezifische, individuelle Wünsche. Sie wollen nicht nur bestimmte Produkte sondern komplette Lösungen für ihre jeweiligen Fragen und Probleme. Und diese wollen sie als ganzheitliche Dienstleistung angeboten bekommen – zuverlässig, kompetent, freundlich und schnell.

Qualitätsorientierung meint das konsequente und systematische Zufriedenstellen der Kundenwünsche durch ein Unternehmen. Es betrifft Podukt- und Servicequalität, ja sogar die Begegnungsqualität. Diese Qualität muß garantiert und gesichert sein. Das systematische Bemühen um die stetige Verbesserung der Qualität ist der Ausdruck dafür, daß der Kunde ernst genommen wird und die einzige Garantie für den dauerhaften Erfolg eines Unternehmens.

Prozessorientierung meint die Optimierung aller Abläufe im Unternehmen, die notwendig sind, um ein Produkt herzustellen oder eine Dienstleistung zu erbringen. Beschleunigung der Prozesse, Verringerung der Wegezeiten, gelungene Zusammenarbeit an Schnittstellen, gleichbleibende Ansprechpartner für den Kunden sind die Ziele.

Das dialogische Prinzip

In einen Dialog über neue Ideen einzutreten, partnerschaftlich und nicht dogmatisch-besserwisserisch, ist Basis für jeden Veränderungsprozess. Dialog meint nicht einfach häufiges Miteinander-Reden, wie das in vielen Unternehmen und Organisationen mißverstanden wird. Dialog meint „eigene Annahmen aufzuheben“ und sich auf ein „gemeinsames Denken“ einzulassen“ (Peter Senge). Diskussionspartner möchten ihre Sicht durchsetzen – Dialogpartner versuchen, die Sicht der anderen zu verstehen. Konkret: runde Tische einrichten, an denen alle teilnehmen können, jede Idee willkommen ist, Ressourcen und nicht Probleme zählen, der Geist des Brainstorming die Agenda bestimmt und nicht die vorgefertigten Papiere des Vorstandes. Jedes gute Change Management beginnt damit, das Prinzip des Dialogs ernst zu nehmen und miteinander einzuüben. Nur aus einem Dialog kommen Ideen für die Veränderungen und deren Akzeptanz.

Den Wandel aktiv gestalten – drei Dimensionen

Haltungen entwickeln

Keine Organisation wird sich wandeln, wenn ihre Mitglieder und Mitarbeitenden nicht grundsätzlich wandlungsbereit und wandlungsfähig sind. Es geht um die innere Haltung. Je mehr sich das verändert, was einmal von außen Halt gab – Normen, Werte, Gesetze, Sicherheiten, nationale und weltanschauliche Identitäten -, desto mehr zählt die innere Haltung. Haltungen kann man nicht verordnen; sie können nur wachsen. Selbständiges Arbeiten und Handeln, mutiges Entscheiden in unterschiedlichen Situationen – und das Einstehen für das eigene Tun, das Bedenken von Folgen und die Übernahme von Ver-ant-wortung. Unternehmen, die sich auf einem harten Markt behaupten müssen, brauchen Mitarbeiterinnen, die an der „Kundenfront“ nicht wie abhängige Angestellte handeln, sondern wie selbständige Unternehmer. Die Frage ist nur, ob die Unternehmensleitung tatsächlich selbstverantwortliche Mitarbeiter will. Bequem sind diese natürlich nicht. Mündige und mutige Mitarbeitende sind aber wichtigste Ressource von Organisationen, die wendig und wandlungsfähig sein wollen.

Strukturen entwickeln

Manche Organisationen besitzen schon aufgrund ihrer Größe die Unbeweglichkeit eines Tankers. Was die politische Kraft in der Gesellschaft angeht, mag dies Vorteile bringen, für ein Management des Wandels ist es ein gravierender Nachteil. Vieles spricht dafür, daß große Organisationen gegenwärtig nur dann erfolgreich sind, wenn sie dezentrale Strukturen stärken. Es geht um konsequente Umsetzung des Subsidiaritätsprinzips; um dezentrale Ressourcenverantwortung. Dies verlangt Kommunikationsstrukturen, die nicht nur von oben nach unten, sondern auch umgekehrt funktionieren. „Wachstum einer Organisation heißt, daß die Reichweite, Vielfalt und Leistungsfähigkeit ihrer Kanäle zur Aufnahme von Informationen aus der Außenwelt vergrößert wird…“ (Karl W. Deutsch).

 

Die Organisationskultur entwickeln

Menschen handeln innerhalb eines Systems ziemlich logisch. Verweigern sie sich dem Wandel, beharren auf Besitzständen und zeigen sich flexibel wie eine Betonwand, ist das oft die persönliche Umsetzung der gewachsenen Unternehmenskultur. Es gehört zum „Geist des Hauses“ sich so zu verhalten. Viel hängt deshalb davon ab, ob die Kultur einer Organisation Raum bietet für Dialog, Kreativität, Experimente, Risiko und Lernen. Geprägt wird die Kultur nicht zuletzt durch das Verhalten der Führungskräfte. Durch häufiges öffentliches Auftreten geschult, sind diese oft verbale Meister des Dialogs, in der Praxis manchmal dialogische Dilettanten. Reden schaffen keinen Dialog, viele Reden sind die systematische Verhinderung des Dialogs. Dialog ist Antworten und Fragen, Reden und Zuhören, Lehren und Lernen, Geben und Nehmen – kurz: eine Zwei-Wege-Kommunikation. Was eine Organisation tut, ist nicht das primäre Thema des Change Managements – viel eher wie sie es tut.

Nur im Zusammenspiel von Haltungen, Strukturen und Organisationskultur gelingt ein organisatorischer Wandel, der die Zeichen der Zeit ernst nimmt und die eigenen strategischen Ziele konsequent im Blick behält.

Management des Wandels konkret

„Scouts“ – die Rolle von kleinen Gruppen

Der Weg in ein neues Land ist die Stunde der Kundschafter. Unternehmen, die neue Herausforderungen angehen, haben dafür eigene Instrumentarien entwickelt. Sie setzen zum Beispiel auf die kreative Kraft kleiner, interdisziplinärer Arbeitsgruppen, die sich in relativ kurzer Zeit kundig machen und mit neuen, durchdachten Ideen und Vorschlägen zurückkommen. Was immer die Namen dafür sind – Projektgruppen, Verbesserungsgruppen, Qualitätszirkel – es geht darum, in begrenzter Zeit, im Zusammenspiel vorhandener Erfahrungen, konkrete Modelle mit Varianten zu entwickeln. Liegen diese auf dem Tisch, braucht es Entsheidungen und konsequente Umsetzung.

„Workshops“ – Beteiligung ermöglichen

Ein Monopolist oder ein subventioniertes Unter­nehmen kann es sich leisten, dass nur ein paar an der Spitze denken und lenken – ein Unternehmen im Wettbewerb nicht. Sie können es auch poetischer ausdrücken: Es gilt das Gold in den Köpfen der Mitarbeiter zu heben, das sich angesammelt hat aus langer Erfah­rung, vielen Experimenten, Fehlern, Kundenkontakten und persönlichen Neigungen. Mitarbeiter beteiligen heißt Erfahrungen aktiv abfragen und auf Ideen aufmerksam hören. Wenn man dies nicht zwischen Tür und Angel macht, sondern Zeit und Raum dafür bereit stellt, entsteht ein Workshop. Dies ist ein etwas vager Sammelbegriff für unterschiedliche Formen, systematisch und moderiert Mitarbeiter zu beteiligen – egal ob es 5 oder 500 sind.

„Talentschuppen“ – Personal entwickeln

Veränderungen gestalten Menschen nicht Maschinen. Mitarbeiter deren Talente durch eine systematische Personalentwicklung gefördert und gefordert werden, trauen sich das auch. Es ist wie bei einem Fußballspiel: Vor dem Anpfiff braucht es Training und taktische Abstimmung – im Spiel selbständiges Agieren jedes Spielers und Achten auf die anderen im Team – danach gemeinsames Reflektieren und Lernen. Dazu gehört, dass sich ein Vorgesetzteer als Coach versteht und nicht als Oberexperte, dass alle Formen interner und externer Fort­bildung gezielt eingesetzt werden. Nicht hier ein Kurs und dort eine Tagung aus irgendeinem dickleibigen Weiterbildungskatalog, sondern Auseinandersetzung mit dem einzelnen Mitarbeiter, mit seinen Herausforderungen, mit sei­nen Stärken und Schwächen. Ein Entwicklungsprogramm vereinbaren, individuell und spezi­fisch.

„Teams“ – Kooperation praktizieren

Hinter der Hinwendung zur Teamarbeit im modernen Management steht die anthropologisch tief verwurzelte Bedeutung kleiner Gruppen für die Gestaltung des menschlichen Lebens. Menschen wollen soziale Kontakte und können ihre Potenziale am besten in überschaubaren, mit unterschiedlichen Talenten besetzten Gruppen entfalten. Allerdings, das Zusammenkommen mehrere Personen zu einer Sitzung oder in einer Abteilung ist noch längst nicht Teamarbeit. Es geht um gemeinsame Ergebnisverantwortung. Wird einem Team Verantwortung übertragen, dann entwickelt es mit erstaunlicher Leistungskraft und Kreativität Ideen und setzt diese um. So wird ein Team auch ganz selbstverständlich zu einem „Lernort“ im Unternehmen.

„Schlankheitskur“ – Hierarchien abbauen

Fast alle Unternehmen begannen in der Garage. Veränderungsmanagement ist kein Problem. Zum Problem wird dies erst in den ausgebauten Konzernzentralen aus Glas und Beton. Machterhaltungstendenz der Mächtigen ist der größte Feind notwendiger Veränderungen. Die ausgebauten hierarchischen Systeme, die Macht sehr weit oben zentralisieren, weichen heute zugunsten der Ermächtigung der Mitarbeitenden an der Basis. Eine „Schlankheitskur“ für Organisationen darf sich nicht im Sparen durch Stellenstreichungen erschöpfen, sondern muss die hierarchische Pyramide umdrehen: Oben sollten die „Kunden“, die Adressaten stehen, dann kommen die Mitarbeiter, die mit ihnen und für sie schaffen und dann erst kommen die Führungskräfte. Deren Aufgabe ist es, hilfreiche Dienstleistungen für die Mitarbeiter zu erbringen. Was hilfreich ist, muß auch aus der Perspektive der operativ Handelnden, nicht nur der Organisationszentrale entschieden werden.

Gute Organisationen graben ihre Ressourcen aus

Change Management ist kein technokratisches Instrument, um Effektivität zu verbessern oder Mitarbeiter von den Vorhaben der Chefs zu überzeugen. Change Management ermutigt die Chefs eher zur Kunst des „Loslassens“. Es geht darum, den Mitarbeitenden Freiräume zu eröffnen, um aus ihrer Sicht notwendige Veränderungen durchzuführen, so dass sie selbst dafür Verantwortung übernehmen können. Das ist eine Grundhaltung, ein Ethos; als bloße Technik ist es unwirksam. Letztlich geht es um Vertrauen und Zutrauen in andere Menschen – nicht auf Macht, sondern auf Ressourcen setzen. Daraus wächst Zukunftsfähigkeit.

Meinrad Bumiller

Refounding – Organisationen verjüngen

Refounding als Organisation heißt sich erinnern an die Gründungsgeschichte – nicht im Sinne eines Jubiläums mit den üblichen Festreden, sondern als gemeinschaftlicher Prozess aller Mitarbeitenden. Es geht um die Vergegenwärtigung der Gründer und Gründerinnen, der Gründungsideen, der Gründungsurkunden etc. Es darf keine museale Erinnerung sein, nach dem Motto: „So war das damals…“ Vielmehr wird nach Inspiration und Impulsen für die Gegenwart gesucht: Was fordert die Treue zur Gründungsidee heute?

Refounding fordert die Mitarbeitenden, sich aktiv und kreativ mit der Gründungsgeschichte der Organisation auseinanderzusetzen. Allerdings fordert es Mitarbeitende nicht nur, sondern beteiligt sie auch. Refounding ist nicht weniger als eine Neugründung der Organisation im Blick auf alle Facetten, die Organisationen kennzeichnen: Ziele, Strukturen, Marktauftritt, Führungsstil, Kultur, Umgang mit den Ressourcen etc.

Refounding ist ein Entwicklungsprozess. Wie andere Prozesse auch, kann man ihn in einzelne Phasen aufteilen, die bei der Umsetzung helfen. Dazu ein Vorschlag mit sechs Schritten:

  1. Mitarbeitende einer Organisation kommen zusammen als Gemeinschaft (alle oder Vertreter der einzelnen Bereiche).
  2. Die Gründungs-Geschichte (Personen, Urkunden, Ziele…) wird gemeinsam neu bedacht (evtl.: spielerisch als kurzes Theaterstück).
  3. Die alten Gründungs-Ziele werden im Blick auf neue Herausforderungen geprüft.
  4. Die Gründungsziele werden reformuliert, so dass sie für die heutigen Mitarbeitenden verständlich sind und Akzeptanz finden können.
  5. Alle versichern sich der erneuerten Grundlegung durch eine gemeinsame Feier (Ritual) und streben ein Commitment an.
  6. Die neu formulierten Grundlagen werden in die Organisation nachhaltig implementiert.

Zu diesen Schritten gibt es bewährte Workshop-Methoden, so dass ein kreativer Prozess entsteht, in den sich viele einbringen können.

Die Konsequenzen sind naturgemäß völlig unterschiedlich, je nachdem um welche Organisation es sich handelt. Es geht darum, die ureigenen Ziele ausgehend vom Gründungsakt neu zu bedenken und nicht irgendeiner modischen Management-Theorie zu folgen. Die Idee ist nicht, alles anders zu machen als bisher – sondern die Kernaufgaben mit einem neuen Schwung anzugehen, inspiriert durch die Gründungsideale. Es gilt den Zauber des Anfangs neu zu entfachen.

Meinrad Bumiller

Zukunftsfähige Organisationen Zusammenarbeit und Führung neu denken – 10 vorläufige Thesen

 

  1. Von Master-Plänen zur Agilität
  2. Vom Erfolgszwang zur Sinngeschichte
  3. Von strategischen Zielen zur Pflege der Unternehmenskultur
  4. Von Vorgaben und Vorschriften zum Dialog
  5. Vom Maschinendenken zum Beziehungsgeschehen
  6. Von der Hierarchie zu Selbstführung und dezentraler Verantwortung
  7. Von Büro-Kratie zu Kreativität
  8. Von der Herrschaft der Altgedienten zum aktiven Generationen-Management
  9. Vom technologischen und wirtschaftlichen Fort­schritt zum ökologischen und sozialen
  10. Von heldenhaften Führern zu nachdenklichen

Die Corona-Epidemie hat nicht die Welt verändert – aber das Virus hat deutlich sichtbar gemacht, was sich schon lange abzeichnete: Eine neue dynamische Welt, global und digital, verlangt ein neues Denken in Organisationen. Der Lockdown hat Zeit geschenkt, darüber nachzudenken, was sich ändern könnte und sollte im Blick auf Zusammenarbeit und Führung in Organisationen, um zukunfts-fähig zu werden? Natürlich wird Bewährtes bleiben – doch einige neue Bewegungen zeichnen sich ab.

1.  Von Master-Plänen zur Agilität

 Responding to change over following a plan

Agiles Manifest, 2001

 

Große Pläne, von Planungsstäben ausgeklügelt, zeitlich genau fixiert waren in Unternehmen und Behörden lange das Maß aller Dinge. Eine hochbeschleunigte Umwelt – man muss da nicht nur an Finanzkrise, Flüchtlingswellen, Corona denken – machte sie obsolet. Kaum gedruckt, waren sie oft das Papier nicht mehr wert. Die Antwort von Organisationen darauf heißt Agilität. Das klingt gut –

aber wie sollen agile Organisationen aussehen?

Konkrete Vorschläge

  • Informationen fließen in alle Richtungen, Wissen wird konsequent geteilt, Ideen sind jederzeit willkommen.
  • Im Blick auf Problemlösungen wird schnell abteilungsübergreifend und interdisziplinär zusammengearbeitet.
  • Aus Problemen werden Projekte, Lösungsideen haben Vorrang vor Zielformulierungen.
  • Die Mitarbeitenden sind nahe bei den Kunden.
  • Statt chronologisch Aufgaben nach Zeitplänen abzuarbeiten, gilt es kairologisch zu handeln: damit meinten die alten Griechen – den richtigen Zeitpunkt zu erkennen und zu nutzen.
  • Hierarchische Ränge spielen keine Rolle – dafür ist der Respekt vor dem Fachwissen und der Erfahrung aller hoch.
  • Experimentierfreude, Fehlerfreundlichkeit, Lern- und Veränderungsbereitschaft prägen die Leitkultur.

2.  Vom Erfolgszwang zur Sinngeschichte

Menschen habe das elementare Bedürfnis ein Teil von etwas zu sein, auf das sie stolz sein können.

Jim Collins

 

Natürlich muss ein Unternehmen auf Dauer erfolgreich sein – schwarze Zahlen schreiben, Kunden gewinnen, Akzeptanz finden. Das gilt auch für den Nonprofit-Bereich. Allerdings wurde es in der Vergangenheit zum Erfolgs­zwang. Nebenwirkungen waren Getrieben-Sein und Rücksichtslosigkeit. Erfolg war Leitbegriff für Leitungs-Personen – Misserfolge waren eine Schande. Erfolg wurde dabei fast ausschließlich wirtschaftlich definiert.

Menschen möchten für etwas arbeiten, das größer ist als sie – an einer Kathedrale mitbauen und nicht nur Steine klopfen. Es geht um den Sinn der Arbeit. Sinn stiftet, was spürbar das Leben der Menschen verbessert. Das kann auch Wohlstand sein. Zentraler ist allerdings die soziale Dimension: Bin ich in einem Netz von Menschen, die mir guttun? Das kennzeichnet gute Unter­nehmen genauso wie lebenswerte Kommunen.

Konkrete Vorschläge

  • Berufliche Arbeit, Familienleben und Freizeit werden neu verbunden: Home-Office, Teilzeit­arbeit, Sabbatical, Bildungsurlaub, Familienzeit. Jüngere legen darauf Wert.
  • Sinnvolles Tun macht zufrieden – sinnloses demotiviert. Wer weiß wozu er arbeitet, der erträgt auch mal langweilige Arbeiten.
  • Organisationen können nicht Sinn liefern oder stiften. Aber sie können ermöglichen, dass die Mitarbeitenden diskutieren, welchen Beitrag ihre Arbeit für die Gesellschaft leistet.
  • Hochgradig arbeitsteilige Organisationen und hochgradig spezialisierte Wissens-Arbeiter brauchen verbindende Werte und Haltungen, damit die bereichsübergreifende Zusammen­arbeit klappt. Sinn stiftet Zusammenhalt.
  • Sinnvolle Arbeit braucht Inspiration und Anregungen von außen. In Organisationen kann dies geschehen, indem Themen, die alle angehen, diskutiert werden – untereinander und mit externen Fachleuten.
  • Wissens-Arbeiter brauchen nicht nur Kompetenzen sondern auch Bildung im Sinne von Horizonterweiterung.
  • Sinn verdichtet sich meist in Geschichten. Mitarbeitende erzählen diese weiter und ziehen damit Bewerber an.

3.  Von strategischen Zielen zur Pflege der Unternehmenskultur

 Kultur siegt über Strategie – immer!

Peter Drucker

 

 Strategisches Management war die Königsdisziplin von Führungskräften. Vom Feldherrnhügel aus wurde Zukunft beschrieben und dann heruntergebrochen bis zum einzelnen „Soldaten“. Das funktioniert nicht einmal mal mehr im militäri­schen Bereich.

Der berühmte Satz des Management-Gurus Peter Drucker, oft zitiert und wenig beherzigt, trifft den Punkt. Wahrscheinlich war das immer schon so – aber die jungen Generationen, bei denen sich Unternehmen heute bewerben müssen, verstärken dies. Sie achten genau darauf, wie die Umgangsformen in einer Organisation sind, welcher Spirit in Teams herrscht, wie Kommunikation stattfindet. Sie erwarten „New Work“: Selbstständigkeit, Freiheit und Teilhabe. Es geht um die Gestaltung der Organisationskultur und – etwas schwieriger – um kulturelle Führung.

Konkrete Vorschläge

  • Es ist immer gut, die Gründungsgeschichte einer Organisation zu erzählen. Daran anschließen kann ein Refounding: gemeinsam überlegen, wie die Gründung unter neuen Rahmen­bedingungen aktualisiert werden kann.
  • Statt langatmiger Leitbilder ein knackiges Mission-Statement formulieren.
  • Menschen brauchen Rituale. Diese stärken die gemeinsame Identität viel wirksamer als Hoch­glanz-Papiere. Beispielhaft: Wie werden neue Mitarbeiterinnen begrüßt und wie altgediente verabschiedet?
  • Führungskräfte interessieren sich für die Erfahrungen der Mitarbeitenden.
  • Exemplarisches Handeln: Chef sitzt einen Tag am Empfang.
  • Die Kultur eines Unternehmens erkennt man gut daran, wie Feste gefeiert werden. Nur Essen und Trinken oder stilvolles Feiern mit phantasievollen Beiträgen der Mitarbeitenden.
  • Kunst, Musik, Theater in das Unternehmen holen.
  • Räume nicht nur funktional, sondern inspirierend gestalten.
  • Soziale Verbindungen, Miteinander-Handeln – auch außerhalb der Arbeit – schaffen Vertrauen und stärken die Kooperationsfähigkeit. Die Organisation gewinnt soziales Kapital.

4.  Von Vorgaben und Vorschriften zum Dialog

Will man die Welt, so wie sie »wirklich« ist, sehen und erfahren, so kann man es nur, indem man sie als etwas versteht, was Vielen gemeinsam ist, zwischen ihnen liegt, sie trennt und verbindet, sich jedem anders zeigt und daher nur in, dem Maße verständlich wird, als Viele miteinander über sie reden und ihre Meinungen, ihre Perspektiven miteinander und gegeneinander aus­tauschen.

Hannah Arendt

 

Viele Organisationen sind geprägt von umfangreichen Regelwerken. Zum Teil kommen diese vom Gesetzgeber zum Teil durch ein ausge­klügeltes Qualitäts-Management, orientiert an einer Zertifizierung nach ISO 9000. Keine Frage: Zusammenarbeit braucht Regeln. Man kann nicht bei jedem Problem einen Stuhlkreis bilden. Nimmt die Anzahl der Regeln ständig zu und wird umfangreich kodifiziert, dann gibt es einige Nebenwirkungen: Kreativität und Flexibilität sinken; Normen sind nicht mehr für Menschen da, sondern Menschen, um die Normen zu erfüllen; Nachdenken wird durch Befolgen ersetzt. In einer dynamischen Welt mit anspruchsvollen Kunden und komplexen Problemen ist das tödlich.

Die Alternative wäre Dialog – nicht als Geschwätzigkeit, sondern als strukturiertes Erkunden der Möglichkeiten durch kollektive Intelligenz.

Konkrete Vorschläge

  • Adäquate Gesprächsorte schaffen, bei denen die Mitarbeitenden ihr Wissen einbringen und vernetzen können mit dafür geeigneten Formaten. Statt feierlichen Monologen ein World-Café, statt Sitzungen kreative Workshops.
  • Das oftmals vernachlässigte Wissen der Jüngeren, der Frauen, der Stillen, der Untergebenen, der fachlichen Außenseiter würdigen, um den Beharrungstendenzen der Altgedienten etwas entgegenzusetzen.
  • Plattformen für den Dialog, sowohl analog wie digital, ausbauen.
  • Informelle Kommunikation ermöglichen am Kaffeeautomaten, in der Mensa, auf der Parkbank, am Billard-Tisch, im Sportraum…
  • Zuhören wird kultiviert – Feedback ist erwünscht – führt zu Konsequenzen.
  • Projekte werden konsequent reflektiert mit allen Beteiligten – und verändern neue Projekt­planungen.
  • Schweigen und Stille, eine vorsichtige Verlangsamung führen nicht zu verlegenem Starren auf das Handy, sondern schaffen Nachdenklichkeit, Gründlichkeit und Nachhaltigkeit.
  • Vielfalt, Komplexität, Pluralität werden geschätzt und nicht die eine Wahrheit gesucht: Ambiguitäts-Toleranz.

5.  Vom Maschinendenken zum Beziehungsgeschehen

Resonanz erfordert den Verzicht auf die Kontrolle des Gegenübers und vermeidet es, den Prozess der Begegnung zu regulieren.

Hartmut Rosa

 

Tools für Führung und Zusammenarbeit hatten lange Konjunktur. Viele davon mögen durchaus hilfreich sein. Gute Ergebnisse garantieren sie nicht. Lieblos und gedankenlos eingesetzt wie gelernt, bewirken sie bei Mitarbeitenden eher Widerstand: „Aha, der Chef hat wieder ein Buch gelesen“. Männer lieben Werkzeug­kästen. Das birgt die Gefahr, Personen wie Maschinen zu behandeln, Mitarbeitende auf Nutz-Objekte zu reduzieren, statt sie als Mit-Wirkende anzunehmen. Der Soziologe Hartmut Rosa benennt zwei unter­schiedliche Haltungen. Verfügbarkeit ist die eine: Dinge sichtbar machen, erreichbar, zugänglich, beherrschbar, nutzbar – also unter Kontrolle bringen. Sein Gegenbegriff heißt Resonanz. Diese hat nach ihm vier Dimensionen: Berührung, Selbstwirksamkeit, Anverwandlung, Unverfügbarkeit. Es geht um Offenheit und Erreichbarkeit – weniger Management-Tools, mehr Mut zu Begegnung und Beziehung.

Konkrete Vorschläge

  • Führung setzt auf Kontakt und die Gestaltung von Beziehungen statt auf immer neue Führungs­instrumente.
  • Führungskräfte beherzigen “Management by walking around”.
  • Selbständiges Handeln und Übernahme von Verantwortung haben Vorrang vor Zuständigkeit.
  • Leistung wird bewertet nicht gemessen.
  • Statt loben an-erkennen – das meint erkennen, was jemand leistet.
  • Die verschiedenen Sprachen der Wertschätzung üben: Worte, Zeit schenken, Dienen, Gesten, Berührung, Ermächtigung (nach Gary Chapman).
  • Die Philosophin Hannah Arendt spricht von Handeln als Alternative zum Herstellen. Herstellen setzt auf Technik – Handeln wird machtvoll nur als gemeinsames Handeln. Arendt bezeichnet dies als Geburtlichkeit, weil so Neues entsteht.

6.  Von der Hierarchie zu Selbstführung und dezentraler Verantwortung

Es ist zwar leicht die Macht zu zentralisieren, aber unmöglich, all das Wissen zu zentralisieren, welches auf viele Individuen verteilt ist und dessen Zentralisierung zur weisen Ausübung der zentralisierten Macht erforderlich wäre.

Karl Popper

 

Irgendwann als die großen Reiche entstanden, erfanden die Menschen die Hierarchie. Das ermöglichte arbeitsteiliges und effizientes Arbeiten. Selbst eine riesige Pyramide konnte man so ohne moderne Maschinen errichten. Wunsch nach Macht und Machterhalt ließ Hierarchien dann immer breiter und tiefer, immer beherrschender werden.

Moderne gut ausgebildete Wissensarbeiter fügen sich nicht mehr in Hierarchien ein. Dass alles oben abgesegnet werden muss, demotiviert. Im Übrigen verlangsamt es Entscheidungen.

Konkrete Vorschläge

  • Mitarbeiter ermächtigen – dezentrale Entscheidungen ermöglichen.
  • Teams – wenn sie nicht mehr als ungefähr 10 Köpfe umfassen – können sich selbst organisieren. Sie benötigen allerdings Arbeitszeit für Team-Entwicklung und Klausuren.
  • Mitarbeiter heute heißen nicht umsonst Wissens-Arbeiter. Sie wissen viel – nicht nur Fach­wissen aus der Ausbildung, sondern vor allem Erfahrungs-Wissen aus ihrer Praxis. Deshalb können sie sich auch selbst führen.
  • Motivierte und kompetente Personen können mit den Möglichkeiten moderner Informations­technologie über große Entfernungen zusammenarbeiten, wenn sie einige Voraussetzungen beachten: Sie haben sich kennengelernt – face to face – und Vertrauen zueinander. Der Rest ist Technik.
  • Eine systematische Personalentwicklung investiert in Bildung, die über fachtechnisches Wissen weit hinausgeht: Werte, Persönlichkeit, Dialog, Emotionalität, Lebensfreude, Kultur.

7.  Von Büro-Kratie zu Kreativität

Kreativität entsteht in Werkstätten, in Laboren, am Küchentisch – niemals in Sitzungszimmern.

Alf Biber

 

In Deutschland kann man derzeit keine Organisation besuchen, ohne nicht sofort ein Klagelied über die wachsende Bürokratisierung zu hören. In sozialen Dienstleistungs­unternehmen ist das noch einmal stärker als in Wirtschafts­unternehmen. Ökonomen haben längst herausgearbeitet, dass Transaktionskosten das Geld von allen Beteiligten vernichten. Deshalb ist es eine zentrale Führungsaufgabe, diese zu minimieren. Es ist auch längst bekannt, was Transaktionskosten in die Höhe treibt: mangelndes Vertrauen. Misstrauen zerstört Wissensaustausch, Kreativität, Experimentierfreude, Innovationen – all das, was Unternehmen heute dringend brauchen. Führungsstärke zeigt sich vor allem im Kampf gegen die Bürokratie-Monster.

Konkrete Vorschläge

  • Unsinnige Dokumentationen rigoros streichen, notwendige vereinfachen.
  • Mut zum Experimentieren und Fehler machen.
  • Von und mit Kunden lernen.
  • Bei Problemlösungen Perspektivenwechsel und Interdisziplinarität praktizieren.
  • Tradition ist nicht die Anbetung der Asche, sondern die Weitergabe des Feuers.
  • Vertrauen systematisch aufbauen – vertraut werden durch Workshops, Projekte, Feste, gemeinsames Lernen…
  • Der Ansatz des Design Thinking weist neue Wege: Kontext verstehen – Nutzer und Betroffene beobachten – Erkenntnisse verdichten – Ideen entwickeln mit einer Vielzahl von Lösungs­möglichkeiten – konkrete Lösungen sichtbar machen (Prototypen) – Lösungen testen
  • Informationen kann man digital austauschen – Neues entwickeln verlangt physische Nähe.
  • Besprechungsräume ähneln einer Werkstatt mit beweglichem Mobiliar und kreativen Materialien.

8.  Von der Herrschaft der Altgedienten zum aktiven Generationen-Management

Man wird nur alt, wenn man seinen Idealen Lebewohl sagt!

Albert Schweitzer

 

In Zeiten von beschleunigten Veränderungen gibt es einen schnellen Generationenwechsel. Alle drei Jahre haben wir eine neue Generation mit anderen Werten, konstatieren Jugendforscher. Natürlich führt dies bei der Zusammenarbeit in Organisationen zu Spannungen. Normalerweise lernen die Jungen von den Älteren. In der digitalen Welt ist es auch umgekehrt. Ein Beispiel: Die Jungen gestalten die Einführung einer neuen Software und schulen dann die Älteren. Das wäre aktives Generationenmanagement. Für manch Altgedienten vielleicht anfangs gewöhnungsbedürftig, aber auf Dauer eine Chance für eine Kultur des Miteinander.

  • Lebenslanges Lernen gilt für alle.
  • Die Weisheit des Alters ergibt sich nicht aus dem Alter, sondern aus reflektierter Erfahrung. Das ist ein Potenzial.
  • Junge Mitarbeitende, wenn sie neugierig sind, wirken als potenzielle Innovatoren. „Gebt euch nie zufrieden, sucht weiter!“ (Steve Jobs).
  • Job-Rotation und Führung auf Zeit halten Organisationen wandlungsfähig.
  • Tandems von Jungen und Alten als Lerngemeinschaften bilden.
  • Jüngere konzipieren die Einführung einer neuen Software und schulen dann die Älteren.
  • Zwei Workshop-Ideen: Azubis und Berufsanfänger entwickeln neue Regeln für die Zusammen­arbeit – eine Gruppe der Dienstältesten nimmt dazu Stellung.

9.  Vom technologischen und wirtschaftlichen Fortschritt zum ökologischen und sozialen

 Die gleiche Intelligenz, die für eine enorme technische Entwicklung verwendet wurde, sollte es auch schaffen, wirksame Formen internationalen Leaderships zu finden, um die schwerwiegenden Umweltprobleme und die ernsten sozialen Schwierigkeiten zu lösen.

Papst Franziskus

 

In einer Marktgesellschaft erzwingt der Wettbewerb den Wandel in Organisationen. Allerdings tendenziell eher zum Eigennutz als zum Gemeinwohl und eher zum ökonomischen Fortschritt als zum ökologischen. Klimawandel und Umweltzerstörung einerseits, Auseinanderklaffen von Verdienstmöglichkeiten andererseits sind derzeit dramatisch. Es ist Zeit für einen Schwenk. Ökologie und Gerechtigkeit sind Leitbegriffe für Organisationen mit Zukunftsfähigkeit. Beides ist in unserem evolutionären Erbe tief verankert. Das heißt, dass nur Organisationen, die dies beherzigen, auf Dauer auch Akzeptanz finden. Technisches und ökonomisches Voranschreiten wird dies nicht ausschließen.

Konkrete Vorschläge

  • Technischer Fortschritt wird nicht als Selbstzweck gesehen, sondern als Mittel die Lebens­qualität zu verbessern.
  • Bei allen Entscheidungen wird das Kriterium einer ökologischen Nachhaltigkeit ins Spiel gebracht.
  • Mitarbeitende, die nachhaltig denken, sind geeignet für Führungsaufgaben.
  • Bei Veränderungen wird geschaut, wie es dabei den Schwachen und Armen geht.
  • Sowohl die Verteilung der Arbeit wie auch der Gehälter müssen als fair empfunden werden.
  • Möglichkeiten zur Partizipation aller Mitarbeitenden kennzeichnen die Organisations­strukturen.

10.   Von heldenhaften Führern zu nachdenklichen

Für die Moderation von Selbstorganisationsprozessen ist ein heroischer Führungsstil eher hinderlich. Nicht das brachiale Durschlagen gordischer Knoten, sondern das kunstvolle Knüpfen von Netzen ist gefragt.

Ulrich Bröckling

 

Hat eine angehende Kanzlerkandidatin irgendwo Schwierigkeiten sich durchzusetzen, dann wird ihr sofort mangelnde Führungs­stärke attestiert. Merkwür­digerweise auch von betont liberalen und demokratischen Zeitungen. Und das im 21. Jahrhundert. Anscheinend sind die alten Bilder und Mythen von den Helden vor den Toren Trojas immer noch in vielen Köpfen virulent.

Wer in erfolgreiche Organisationen blickt, wie dort versucht wird, Her­ausforderungen zu meistern und Zukunft zu gestalten, der sieht etwas anders als Helden im Harnisch, die voranpreschen. Der neue Führungsstil wurde zutreffend als post-heroisch beschrieben. Wie kann der aussehen?

Konkrete Vorschläge

  • Zunächst einmal geht es um Selbstführung. Bin ich als Chef oder Chefin in der Lage, mich selbst gut zu organisieren, verlässlich zu handeln, Expertisen genau zu lesen, eigene Gedanken zu präzisieren. Dann geht es um die Fähigkeit die Mitarbeitenden wahrzunehmen – also um Empathie, um Aufmerksamkeit, um aktives Zuhören.
  • Autorität kommt nicht mehr aus überlegener Fachkompetenz. Dafür sind die Probleme zu komplex. In der Wissensgesellschaft bedeutet Führungsstärke, Wissenschaftler und Praktiker ins Gespräch zu bringen – konstruktiv, streitbar, respektvoll. Das kann man als die Kunst des Moderierens bezeichnen.
  • Ein Schlüsselbegriff für Zukunftskunst ist Nachdenklichkeit: Die Fähigkeit Entscheidungen zu verlangsamen und in Ruhe – vielleicht bei einer Wanderung – die verschiedenen Möglichkeiten und Sichtweisen abzuwägen.
  • Gute Führung hat Werthaltungen und opfert diese nicht Moden und Marketing.
  • Führungskräfte müssen viel reden. Die meisten können dies auch eloquent. Menschen haben jedoch Erfahrungen, um zu spüren, was ehrlich ist und was nicht. Authentizität ist gefragt.
  • Regeln und Vorschriften haben nicht mehr den Verpflichtungscharakter wie in früheren Zeiten – eher sind dies Vereinbarungen, die aus einem offenen Diskurs hervorgehen.
  • Führungskraft ist nicht das kühne Vorneweg-Stürmen oder das kraftvolle Bekämpfen des Gegners, sondern die Fähigkeit vorhandene Potenziale zu bündeln, ins Wort zu bringen und dafür Commitment zu erreichen.
  • Wer keinen Mut zum Träumen hat, hat keine Kraft zum Kämpfen.