Bildung ist ein umstrittener Begriff. Zwei jüngere Beiträge verdeutlichen dies. Das Gelehrten-Ehepaar – Lorraine Daston und Gerd Gigerenzer – formulierte in einem Interview mit der ZEIT: „Der Begriff Bildung ist veraltet – individualistisch und romantisch“ (DIE ZEIT Nr. 4/2020, 16. Januar 2020). Am Ende des Interviews kommt doch noch ein Plädoyer für Bildung: „Die Universitäten müssten es zur Normalität machen, dass Erwachsene regelmäßig in den Hörsaal zurückkehren… Man könnte ein Bildungsjahr nach der Rente einführen. Oder noch besser: nicht nur nach der Rente, sondern jeweils mit 45, 55, 65 Jahren.“ Mit großer Leidenschaft formuliert der Journalist Jan Roß in einem neuen Buch eine „Anleitung zur Bildung“. „Jan Ross begleitet die Leserin und den Leser auf die Akropolis und nach Rom, zu Shakespeare, Kant und Dostojewski, aber auch zu Wissenschaftlern wie Darwin oder Revolutionären wie Rosa Luxemburg. Bildung bedeutet für ihn, das magische Losungswort zu kennen, mit dem wir das Menschheitserbe der Dichter, Denker und Künstler zum Sprechen bringen und zu Hilfe rufen können“ (Ankündigung des Rowohlt-Verlags: Jan Roß: Bildung – eine Anleitung, 2020).

So ist nicht verwunderlich, dass auch die Frage, wozu es eine kirchliche Erwachsenenbildung braucht, umstritten ist. Erwachsenenbildung als Erwachsenenkateches – da sträuben sich bei vielen Engagierten die Haare. Seelsorger und Seelsorgerinnen betrachteten Bildungsarbeit lange Zeit als eine Zugabe zur Pastoral. Nicht notwendig – aber gut, wenn pensionierter Lehrer ehrenamtlich dazu Lust haben und es vom Staat dafür Geld gibt, dann bitte nur zu. Bildung war einfach kein Schlüsselwort für pastorale Profis.

Dramatische Herausforderungen für kirchliches Handeln

Die Gottesdienstbesucher nehmen drastisch ab, Kirchenaustritte nehmen zu, aktive Kirchenmitglieder werden zu einer Minderheit in der Gesellschaft. Theologisch gesprochen: Die Kirche kommt in eine missionarische Situation. In diese Richtung predigen Bischöfe gern. Aber was das heißt, wissen sie offensichtlich nicht. Von missionarischen Aktivitäten ist hierzulande weit und breit nichts zu sehen. Sicher das Wort ist besudelt durch die Liaison mit dem europäischen Kolonialismus. Aber das sollte ja nicht dazu führen, dass sich die Kirche in der modernen Welt versteckt und in das Ghetto einer kleinen frommen Schar zurückzieht. Jedes Wirtschafts-Unternehmen überlegt intensiv, welchen Beitrag es für die Gesellschaft erbringen kann, wann, wo und wie man „Flagge zeigen“ kann. Geradezu theologisch wird dies dann in einem „Mission-Statement“ ausgedrückt. Im Blick auf die öffentliche Präsenz des Christentums bekommt Bildungsarbeit mit Erwachsenen eine neue Brisanz.

Um welche Bildung geht es dabei? Derzeit sehe ich vier Ansätze in der Bildungsarbeit mit Erwachsenen. Enorm ausgedehnt hat sich die berufliche Bildung. Kurse, welche die Beschäftigungsfähigkeit oder gar die Karrierechancen erhöhen, gibt es landauf landab. Das Stichwort heißt: „Lebenslanges Lernen“. Kompetenz verdrängt den Begriff Bildung. Ein zweiter Ansatz ist Persönlichkeitsbildung als Entfaltung individueller Potenziale. In Deutschland hat dafür Wilhelm von Humboldt den Weg gewiesen: „Der wahre Zweck des Menschen … ist die höchste und proportionierlichste Bildung seiner Kräfte zu einem Ganzen.“ Ein dritter Ansatz: Bürger und Bürgerinnen diskutieren über ihre Lebenswelt und gestalten sie aktiv. Bildung wird hier zum Diskurs und zielt auf die Gestaltung der res publica. Dabei geht es wesentlich um die großen Traditionen Europas zur Entwicklung von Menschenwürde und deren Erhaltung angesichts der Dynamik in der modernen Welt. Schließlich gibt es noch eine weniger diskutierte Strömung: In einer sehr funktionalen und zweckorientierten Welt stellen Menschen die Frage nach Werten und Ethik, nach Sinn und Gott, nach Religion und Philosophie – Bildung als existenzielle Suchbewegung.

Für berufliche Bildung gibt es eine Vielzahl von Anbietern. Eine kirchliche Aufgabe ist das nicht – es sei denn als soziales Engagement, etwa im zweiten Bildungsweg. Auch für Persönlichkeitsbildung gibt es unendlich viele Möglichkeiten, sich ganz nach individuellen Neigungen zu entfalten: Musizieren, Malen, Tanzen, Kickboxen, Yoga… Im Programm eines kirchlichen Bildungswerks kann das schon einmal auftauchen – es verleiht allerdings keinen besonderen Glanz. Der dritte Ansatz ist für kirchliches Handeln spannend, heute vielleicht sogar zentral. Das Zweite Vatikanische Konzil hat den Weg gewiesen: „Die Kirche kann ihre Verbundenheit und Achtung gegenüber der ganzen Menschheitsfamilie, in der sie ja selbst lebt, nicht beredter bekunden als da­durch, dass sie mit ihr in einen Dialog eintritt über alle Probleme unserer Epoche“ (Gaudium et Spes 3). Der vierte Ansatz stellt für eine kirchliche Erwachsenenbildung eine starke Herausforderung dar. Es geht darum, geeignete Formate zu schaffen, welche die nach wie vor verbreiteten Sehnsucht nach Sinn, Spiritualität und Glauben thematisieren. Der traditionellen Pastoral, wie Gottesdienst und Predigt, gelingt das offensichtlich immer weniger. Ein kirchliches Bildungs-Werk mit dem Mut zum kreativen Experimentieren könnte dies schaffen. Die beiden zuletzt genannten Ansätze bieten jedenfalls genügend Chancen für eine profilierte Bildungsarbeit von und mit Erwachsenen. Interessierte, aber kirchenferne Personen werden angesprochen. Mit anderen Gruppen aus der Gesellschaft können Diskussionen stattfinden. Kirche mischt sich ein in die Gestaltung der Gesellschaft und Europas. Das Gespräch mit den Naturwissenschaften und ein interreligiöser Dialog finden statt. Es können Räume für Gottsuche moderner, kritischer Menschen entstehen. Und natürlich kann auch kirchliches Handeln selbst weiterentwickelt werden.

Ein Bildungs-Werk als Dialog-Forum

Bei drei Workshops in der Erzdiözese Freiburg haben ehrenamtliche Praktiker über die Zukunft der Erwachsenenbildung diskutiert. Dabei schoben sich zwei Fragen in den Vordergrund: Ist der Begriff Bildung geeignet für eine zukünftige Ausrichtung und ist er ansprechend für moderne Menschen? Welche Organisationsform und welche Formate braucht eine zeitgemäße kirchliche Bildungsarbeit im Erwachsenenbereich?

Das Wort Bildung verbinden viele mit dem Bildungsbürger vergangener Zeiten, der mit lateinischen Zitaten um sich wirft und von Museum zu Museum wandert. Für andere ist die Assoziation zum schulischen Lernen schnell da – oft keine positive Erinnerung. Wenn kirchliche Bildungsarbeit alle Menschen ansprechen will, wenn sie jene erreichen will, die keine Kirchgänger sind aber vielleicht Suchende und Fragende, dann ist der Name keine Nebensache. Dann geht es darum, bekannt und einladend, mehr noch attraktiv zu werden. Heute wird man sagen: Es gilt, eine Marke zu schaffen. Allein durch ein professionelles Marketing und ein schickes Logo wird das nicht funktionieren. Es braucht glaubwürdige Offenheit für heutige Menschen mit ihren Fragen, einladende Räume, Kompetenz bei Themen und Veranstaltungsformaten, das Nutzen digitaler Möglichkeiten. Theologen sind gut darin, umfangreiche Papiere zu schreiben. Für eine Marke braucht es aber eher ein griffiges Mission-Statement als langatmige Leitbilder. Meinen Vorschlag habe ich in die Überschrift gestellt. Verbesserungsfähig ist er allemal. Wenn die Idee des Dialogs mit allen Menschen über die großen und aktuellen Themen im Vordergrund steht, dann drängt sich ein anderer Begriff auf: Forum. Zugegeben auch ein „Forum Bildung“ klingt nicht gerade prickelnd. Doch es setzt immerhin einen anderen Akzent.

Ein Netzwerk Bildung in der Diözese

Was die Organisationsform betrifft, braucht ein Bildungs-Werk, wie immer es heißt, eine Struktur, die Autonomie, selbstständiges und kreatives Handeln ermöglicht. Die vielen Ehrenamtlichen in und um die Pfarrgemeinden sollten ein Netzwerk bilden. Dieses würde ihnen eine Heimat geben, eine gemeinsame Identität. Das kann mit einer e.V.-Struktur erreicht werden oder mit anderen Organisationsformen. So ein Netzwerk wird ökumenisch ausgerichtet sein und ist kooperationsfähig mit anderen Institutionen. Ein „Netzwerk Bildung“ oder ein „Forum Bildung“ in einer Diözese wird einige organisatorischen Kernelemente benötigen. Es braucht so etwas wie einen Grundkurs „Arbeiten im Bildungs-Werk“. Dieser kann ergänzt werden durch themenorientierte Module – wie z.B.: Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Moderation von Veranstaltungen, Teambildung…  Hilfreich für die Aktiven ist ein gut strukturiertes Intranet mit einer Datenbank, die eine übersichtliche Sammlung der Best Practise vor Ort bietet. Darin können interessante Themen und Referenten, innovative Experimente und Formate, Erfahrungen aus Studienfahrten und Workshops zu finden sein. Vielleicht könnte damit auch die Abrechnung von Landesmitteln vereinfacht werden. Die Dokumentation für Vereinbarungen mit Referenten muss einfach sein. Wenn hier ein Bürokratie-Monster auftaucht, dann wird langfristig das Ehrenamt verschwinden. Es sollte regionale Treffen für die Vernetzung und jährlich einen diözesanen Kongress geben, der Inspiration und Wissensaustausch bringt. Schließlich braucht eine moderne Bildungsarbeit geeignete Räume. Was die Zahl der Quadratmeter angeht, sind Pfarrgemeinden gut ausgestattet. Im Blick auf einladende Räume für Dialoge eher nicht. Die Idee „Dritte Orte – Third Places“ von Ray Oldenburg könnten dafür hilfreich sein. Seine Kriterien: leichten Zugang bieten, zweckfreies Dasein ermöglichen, Gleichheit und Inklusion schaffen, gute Atmosphäre für Gespräche herstellen, Stammgäste prägen die Attraktivität, es herrscht eine spielerische Stimmung. Kurzum: Cafés statt Sitzungszimmer!

Erinnerung an die Zukunft

Manchmal ist ein Blick zurück ein Blick nach vorne: „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedräng­ten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi“ (Gaudium et Spes, 1965). „Es geht nicht darum, immer weitere Landstriche oder immer größere Volksgruppen durch die Predigt des Evangeliums zu erfassen, sondern zu erreichen, dass durch die Kraft des Evangeliums die Urteilskriterien, die bestimmenden Werte, die Interessenpunkte, die Denkgewohnheiten, die Quellen der Inspiration und die Lebensmodelle der Menschheit umgewandelt werden“ (Evangelium nuntiandi, 1975). Bleibt die Frage, ob diese großen Visionen im kirchlichen Handeln noch Zugkraft entwickeln oder ob das bürokratische Verwalten des Bestehenden sie längst verdrängt hat.

 

Meinrad Bumiller