Führen als Dienen – Überlegungen
Prickelnd kling das nicht. Klar, jede Führungskraft muss viele Dienstleistungen für die Mitarbeitenden erbringen und wird in gewisser Weise diese auch als ihre „Kunden“ verstehen. Aber Dienen? Diener, auch Dienerinnen sind nun mal in der Hierarchie ganz unten – wenn sie überhaupt darin erscheinen. Die Führenden sind oben.
Historiker weisen darauf hin, dass Europa über viele Jahrhunderte eine Feudalgesellschaft war mit ausgeprägter gesellschaftlicher Rangordnung. Das ist Gott sei Dank vorbei. Aber der Begriff Dienen ist davon kontaminiert. Niemand will ein Diener sein und niemand will sich bedienen lassen! Denn wir haben ziemlich schnell unangenehme Bilder im Kopf: Der steife Butler, der den Whisky serviert; Livrierte Lakaien um den Königsthron; Personen, die sich tief beugen und auf keinen Fall aufschauen. In jedem Historienfilm haben wir das gesehen. Solche Bilder wirken lange nach. In den USA gibt es eine andere Geschichte. Das Selbstverständnis war von Anfang an, dass alle gleich sind: Bürger und Bürgerinnen. Wenn jemand einen Dienst für andere erbringt, dann ist das eine Leistung, die honoriert wird. Man ist nicht Diener sondern Geschäftspartner. Die Unterschiede beim Verdienst und beim Besitz waren natürlich auch in den USA riesig. Und die Schwarzen waren nicht nur Diener sondern Sklaven. Aber das Wort Dienen hat nichts Ehrenrühriges. Deshalb ist es auch kein Zufall, dass es ein Amerikaner war, der das Konzept „Servant Leadership“ entwickelte.
Was heißt Dienen als Führungskraft?
Worte wie Service oder Dienst-Leistung sind eher Ablenkungsmanöver. Deshalb ein anderer Vorschlag: Dienen heißt nicht, sich vor Personen verbeugen, sondern sich einer Sache verschreiben. Eine Aufgabe verstehen größer als das eigene Ego und sich in den Dienst dieser stellen, ohne auf Vergünstigungen und Belohnungen zu schielen. Dienen heißt Leidenschaft entwickeln für eine Mission. (Manchmal hat dies auch mit Leiden zu tun.)
Für Führungskräfte heißt Dienen sich darum kümmern, dass alle – Teams, Abteilungen, Organisationen – für die größere Sache arbeiten können. Die Menschen wollen dies. Damit sie es auch können mit ihrer ganzen Kraft, braucht es einige Rahmenbedingungen – genauer formuliert eine Organisations-Kultur. Spielräume, Selbstführung, Selbstverantwortung gehören dazu. Gleichberechtigtes Mitreden und Streiten um die beste Lösung ebenfalls und noch einiges mehr.
Diese Kultur aufzubauen, ist Führungsaufgabe, ist der Dienst der Führenden. Dies ist primär eine Kultur-Aufgabe und nicht Organisieren oder Kontrollieren. Kultur ist ein land-wirtschaftlicher Begriff – colere im Lateinischen meint bebauen und pflegen. Landwirte und Gärtner wissen, dass dies ein langer und langsamer Prozess ist. Führen als Dienen ist damit eher ein Gegenbegriff zum modernen Managen.
Meinrad Bumiller
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