Führen als Handeln – nicht als Technik
Handeln (griechisch: Praxis) ist zu unterscheiden vom Herstellen und Machen (griechisch: Poiesis). Es ist ein Beziehungs-Geschehen zwischen Menschen.
Herstellen bezeichnet die Prozesse im Handwerk und in der Technik. Es geht um Messbarkeit, Produktivität, Verdinglichung. Im Vordergrund steht eine Mittel-Zweck-Relation.
Diese Unterscheidung geht zurück auf den griechischen Philosophen Aristoteles (384 – 322 v. Chr.) und wurde für unsere Zeit von der Philosophin Hannah Arendt (1906 – 1975) in ihrem Werk Vita activa (ursprünglich: The human condition) entfaltet. In der Moderne allerdings wird Praxis mehr und mehr zur Poiesis – zum Machen und Herstellen.
Wenn Führen Handeln von und mit Personen ist, dann sind Begriffe wie Führungs-Technik oder Führungs-Instrumente unsinnige Begriffe. Natürlich müssen Führungskräfte auch etwas herstellen – z. B.: Entscheidungen, Zielvereinbarungen, die Steuerung von Projekten, Kontrollsysteme etc.
Es gibt eine handwerkliche Seite der Führung. Allerdings ist das Führen von Menschen wesensmäßig eben nicht Herstellen sondern Handeln. Und wer es primär als ein Machen und Herstellen betreibt, hat geölte Rädchen in der Organisation aber nicht kreative Menschen.
Handeln (Praxis), entfaltet im Blick auf die Führung von Menschen, beinhaltet vielfältige Dimensionen. Dazu einige Thesen als Anregung.
- Handeln ist gleichbedeutend mit Sprechen, Kommunizieren, Miteinander reden. Führen geschieht immer im Dialog.
- Handeln braucht das Gespür für den entscheidenden Augenblick (Kairos). Führen verlangt eine Kairologie, das Wissen um den richtigen Zeitpunkt – im Gegensatz zur fixierten Arbeitszeit (Chronologie). Es geht um eine aufmerksame Spontaneität, um Achtsamkeit für die jeweilige Situation.
- Handeln ist nicht auf einen Zweck ausgerichtet wie das Herstellen, sondern ist sich selbst Zweck.
- Handeln geschieht immer in Freiheit. Man kann jemand zwingen, etwas zu machen aber niemanden zwingen zu handeln. Deshalb ist Handeln auch unsicherer, ja riskanter als Herstellen. Führen heißt überzeugen nicht anordnen.
- Handeln schafft Verantwortung mündiger und kreativer Personen – das ist etwas anderes als Zuständigkeit. Neudeutsch: Empowerment.
- Handeln geschieht im öffentlichen Raum, in der Polis, auf der Agora, dem Marktplatz. Führungs-Handeln schafft einen Raum für das Handeln der Mitarbeitenden, für ihre Kreativität und Produktivität, für ihr Lernen und ihre Entwicklung (Unternehmens-Kultur).
- Handeln ereignet sich immer im Plural (men not man). Handeln braucht Perspektivenwechsel, den Austausch von Wissen und schafft dadurch kollektives Wissen (Dia-Logos = Weisheit zwischen Personen).
- Handeln wird machtvoll nur als gemeinsames Handeln einer Gruppe, eines Teams. Führer kennen ihre Leute, leben und kämpfen mit im Team. Miteinander Handeln erfordert Vertrauen.
- Handeln erschafft nicht Produkte sondern Geschichten. Geschichten vom Anfang, von der Gründung, von einer gemeinsamen Reise, von Erfolgen und vom Scheitern… Die kollektiven Erfahrungen werden einander erzählt und dadurch erinnert (community of memory).
- Handeln von Menschen birgt Überraschungen – deshalb: kein Master-Plan, keine Rezepte, vielmehr gemeinsame Wegsuche. Heute: agile Führung.
- Handeln lebt aus der Haltung der Geburtlichkeit (Natalität): einen Anfang machen, initiativ werden, etwas initialisieren. (Lat. agere in Bewegung setzen). Geburtlichkeit widersetzt sich der Berechenbarkeit und der Planbarkeit. Gegen Statistik, Prognosen und die Diktatur der Algorithmen besteht sie aus Spontaneität und Entwicklung, aus Potenzialen und dem Möglichkeits-Sinn. Führungshandeln kann im Sinne von Sokrates als Mäeutik – Geburtshilfe verstanden werden: nicht etwas schaffen oder machen, sondern etwas ermöglichen und unterstützen.
- Handelnde (Führende) müssen wissen, dass Getanes unwiderruflich ist. Beim Herstellen kann ich reparieren. Es braucht deshalb in der Zusammenarbeit die Kraft des Verzeihens.
- Handeln ist unabsehbar und ungewiss. Erst aus der Macht des Versprechens erwächst Sicherheit (Vereinbarungen, Verträge, Verlässlichkeit, Recht).
Meinrad Bumiller
Macht entspricht der menschlichen Fähigkeit, nicht nur zu handeln oder etwas zu tun, sondern sich mit anderen zusammenzuschließen und im Einvernehmen mit ihnen zu handeln. Über Macht verfügt niemals ein Einzelner; sie ist im Besitz einer Gruppe und bleibt nur solange existent, als die Gruppe zusammenhält. Wenn wir von jemand sagen, er habe die Macht, heißt das in Wirklichkeit, dass er von einer bestimmten Anzahl von Menschen ermächtigt ist, in ihrem Namen zu handeln.
Hannah Arendt
In den meisten Wirtschaftsuniversitäten wird das Management noch heute als Bündel von Techniken wie beispielsweise der Budgetierung gelehrt. Selbstverständlich weist das Management wie jede andere Tätigkeit seine eigenen Werkzeuge und Techniken auf. Doch so wie die Harnanalyse trotz ihrer unzweifelhaften Bedeutung nicht die wesentliche Funktion der Medizin darstellt, machen die Techniken und die Verfahren nicht das Wesen des Managements aus. Die wesentliche Funktion des Managements besteht darin, Wissen produktiv zu machen. Mit anderen Worten: Das Management ist eine soziale Funktion. Und in seiner Praxis ist das Management tatsächlich eine »freie Kunst«.
Peter Drucker
Der Output eines Managers ist gleich dem Output seines Verantwortungsbereiches, plus dem Output benachbarter Bereiche unter seinem Einfluss.
Motivation kommt von innen heraus; alles was ein Manager tun kann, ist eine Umgebung zu schaffen, in der sich motivierte Mitarbeiter entfalten können.
Andrew Grove
Und eine Lust ist´s, wie er alles weckt
Und stärkt und neu belebt um sich herum,
wie jede Kraft sich ausspricht, jede Gabe
gleich deutlicher sich wird in seiner Nähe!
Jedwedem zieht er seine Kraft hervor,
die eigentümliche, und zieht sie groß,
Lässt jeden ganz das bleiben, was er ist;
Er wacht nur drüber, dass er´s immer sei
Am rechten Ort; so weiß er aller Menschen
Vermögen zu dem seinigen zu machen.
Friedrich Schiller: Max Piccolomini
über Wallenstein,
Erster Aufzug, vierter Auftritt
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