Personalentwicklung in der Wissensgesellschaft – Herausforderungen für Unternehmen und Organisationen

„Wichtigste Ressource eines Unternehmens sind seine Mitarbeiter!“. Spätestens in der anbrechenden Wissensgesellschaft wird der Satz zum Allgemeingut. Manche Unternehmen wissen das schon lange und beherzigen es auch. Sie investieren in eine langfristig ange­legte, systematische Personalentwicklung. Andere setzen primär auf Kapital, Maschinen und nicht zuletzt Subventionen. Mitarbeiter sehen sie als Kostenfaktor und lassen sie das auch spüren. Facharbeitermangel bewirkt jetzt ein Umden­ken.

Wir überschreiten die Schwelle von der Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft zur Wissensgesellschaft. Für die Personalentwicklung bedeutet dies: „Wissensarbeiter“ und „Wissensarbeiterinnen“ (Peter Drucker) sind gefragt. Was meint dabei der vage Begriff „Wissen“? Wissen ist nicht einfach Bildung im landläufigen Sinn oder Faktenwissen, als wären Mitar­beiter wandelnde Lexika. Wissen ist ein komplexer und dynamischer Mix

  • von erlernter Theorie und praktischer Erfahrung,
  • von schnellem Recherchieren von Fakten und der Fähigkeit, diese zu deuten,
  • von Planungs- und Umsetzungskompetenz,
  • von hochspezialisiertem Fachwissen und allgemeinen sozialen Kompetenzen,
  • von analytischer und emotionaler Intelligenz,
  • von weiterführenden Fragen und möglichen Antworten,
  • von Fixieren bewährter Standards und Experimentieren mit neuen Wegen…

Wissensarbeiter sind nicht allwissend, sondern wissbegierig.

Lernende Mitarbeiter in lernenden Unternehmen

Wie immer man Wissen definiert und ein Profil des Wissensarbeiters skizziert, Lernen ist die Voraussetzung dafür. Lebenslanges Lernen, um es genauer zu sagen. Dieses Wort ist aller­dings nicht nur positiv besetzt. Den meisten kommen Erinnerungen an die eigene Schulzeit hoch: Pauken, Prüfungen, Pressionen. Merkwürdig: Kleine Kinder tun offensichtlich nichts lieber als Neues lernen – bei Jugendlichen lässt dies dramatisch nach und für viele Erwachsene wird Lernen zur Last. Es ist zu einfach, das Schulsystem oder die Lehrer für diese Entwick­lung verantwortlich zu machen. Schule hat nur begrenzte Möglichkeiten, Lernen zu fördern. Pflicht und Disziplin werden immer damit verbunden verbleiben. Lernen in und für die Wissensgesellschaft ist Gott sei Dank mehr als schulisches Lernen. Wissensarbeiter brau­chen noch andere Lernorte: Jugendarbeit, Sport, Vereine – Erfahrungslernen, Üben, Expe­rimentieren – Dialog mit anderen, Kultur und Kunst – Unternehmen als Orte für praxisorien­tiertes Lernen, Team-Lernen – Selbstlernen durch Lesen oder Internet-Recherche. Diese Stichworte machen deutlich: Lernen ist wichtiger als Lehren.

Für Erwachsene stellen sich heute entscheidende Fragen: Sind sie (noch) bereit zu lernen? Können sie Lernen (auch) als Abenteuer und Herausforderung begreifen? Das ganze Gejammer: Hätten mich doch die Lehrer mehr gefördert und gefordert ist eine große Aus­rede. Selbstverantwortung ist gefragt! Biologisch gesehen sind wir lernfähig bis ins hohe Alter. Was Hänschen nicht lernt, muss eben Hans lernen.

Die klassische Normalbiografie im Blick auf das Arbeitsleben hat in der Wissensgesellschaft keinen Bestand mehr: Schule – Ausbildung/Studium – Berufseinstieg – Arbeit – Karriere – Rente. Berufliche Praxis wird früher beginnen (Ferienjob/Praktika). Nach der letzten Prüfung wird die erste Fortbildung starten. Arbeit als Angestellter, Projektarbeit, Honorartätigkeit, Selbständigkeit, auch Zeiten der Arbeitslosigkeit wechseln sich ab. Vor allem aber: Berufs­tätigkeit wird Arbeiten plus Lernen sein. Diese Formel kennzeichnet die Wissensgesellschaft.

Wenn nicht alles täuscht, dann wird es zukünftig gleichzeitig Arbeitslosigkeit und Fach­arbeitermangel geben. Anders ausgedrückt: Menschen suchen verzweifelt Arbeit – Unter­nehmen verzweifelt Arbeiter. Was paradox klingt, erklärt der Begriff Wissensarbeiter. Diese sind gefragt, gesucht und gut bezahlt. Wer nicht dazu gehört, muss damit rechnen, dass sein Arbeitsplatz schlecht bezahlt oder plötzlich entbehrlich wird. Wissensarbeiter sind nicht durch Maschinen ersetzbar.

Unternehmen als Bildungseinrichtungen

Den Trend zur Wissensgesellschaft kann man aus zwei Perspektiven betrachten: Einmal aus der Sicht von Mitarbeitenden, die ihre Zukunft planen – zum anderen aus der Sicht von Unter­nehmen, die im Wettbewerb bestehen müssen. Gute Personalentwicklung verbindet beide Perspektiven. Mitarbeiterinnen werden zu Lernenden – Unternehmen werden lernende Organisa­tionen; Mitarbeiter streben nach Wissen – Unternehmen gestalten Wissensmanagement; Mitarbeiterinnen besuchen Fortbildungen aller Art – Unternehmen entwickeln sich zu Bildungs­einrichtungen.

Weltweiter Wettbewerb, Rationalisierungsmaßnahmen zur Effizienzsteigerung, Einzug neuer Technologien, Digitalisierung, Flexibilisierung und Deregulierung von Rahmenbedingungen, das sind Megatrends, die alle Bereiche der Gesellschaft durchdringen. Es mag bei diesen Umbrüchen gerade in Deutschland durch Wohlstand und Tradition noch viele Bremsen geben, aufhalten lassen sie sich nicht. Ob die Folgen gut oder schlecht sind, ist eine andere Frage. Da niemand Zukunft genau vorhersehen kann, sollte man vorsichtig sein mit Euphorie wie mit Verteufelung.

Wenn diese Trends zutreffen, welche Eckpunkte muss dann eine moderne Personal­entwicklung in Unternehmen kennzeichnen? Sechs scheinen wesentlich.

1. Sich an Zielen und an Kunden orientieren

Stellenprofile beschreiben künftig Ziele im Blick auf Zielgruppen und nicht Tätigkeiten. Den Fokus auf Ziele statt auf Aufgaben zu setzen, klingt lediglich wie sprachliche Haarspalterei. Dahinter steckt aber eine entscheidende Weichenstellung. Zielorientiertes Arbeiten stärkt die Verantwortung der Angestellten. Mitarbeiter planen gestal­ten, reflektieren und verantworten selbständig ihre Arbeit im Rahmen von vereinbarten Zielen. Welches die geeigneten Wege zum Ziel sind, bestimmen sie selbst – müssen aller­dings für Fehler und Scheitern auch Verantwortung übernehmen. Für die Führungskräfte und die Organisation bedeutet es lapidar, dass überhaupt Ziele entwickelt werden. Die meisten Chefs behaupten natürlich, dass sie Ziele haben; fragt man ihre Mitarbeiter, hört sich das ganz anders an: Mein Chef sagt immer: „Jetzt machen Sie mal…“ Zielorientiertes Arbeiten funktioniert nur, wenn Ziele gemeinsam entwickelt werden. Das heißt Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen werden nach ihren Erfahrungen und ihrem Expertenwissen gefragt. Manche Vorgesetzten müssen erst lernen, solche Fragen zu stellen – manche Mitarbeiter, darauf Antworten zu geben.

2. Fordern und Fördern

Es geht um mehr als um ein schönes Wortspiel. Eine Balance ist gefragt: die gleichmäßige Entfaltung beider Pole. Die Herausforderungen, denen sich eine Organisation stellen muss, müssen klar sein – nicht nur abstrakt für die ganze Organisation, sondern für jeden Bereich, jeden Mitarbeiter. Dies werden durchaus Zumutungen sein. Es geht dabei um Qualität und Quantität, um Fachlichkeit und um Service, um den Einsatz knapper Ressourcen: Zeit, Geld, Mittel… Wenn diese Herausforderungen beschrieben sind, dann gilt es, die Mitarbeitenden zu fördern, damit sie ihnen mehr und mehr gewachsen sind. Dazu gehört, dass sich Vorgesetzte als Coach verstehen und nicht als Oberexperten, dass alle Formen interner und externer Fort­bildung gezielt eingesetzt werden, so wie das einzelne Mitarbeitende brauchen. Nicht hier ein Kurs und dort eine Tagung aus irgendeinem dickleibigen Weiterbildungskatalog, sondern Auseinandersetzung mit dem einzelnen Mitarbeiter, mit seinen Herausforderungen, mit sei­nen Stärken und Schwächen. Ein Entwicklungsprogramm vereinbaren, individuell und spezi­fisch.

3. Beteiligen und Ermächtigen

Dies klingt basisdemokratisch. Was dahinter steht, wurde aber nicht in demokratischen Dis­kursen entwickelt, sondern im Wettbewerb. Ein Monopolist oder ein subventioniertes Unter­nehmen kann es sich leisten, dass nur ein paar an der Spitze denken und lenken – ein Unternehmen im Wettbewerb nicht. Sie können es auch poetischer ausdrücken: Es gilt das Gold in den Köpfen der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zu heben, das sich angesammelt hat aus langer Erfah­rung, vielen Experimenten, Fehlern, Kundenkontakten und persönlichen Neigungen. Partizi­pation und Empowerment sind, wenn Sie so wollen, demokratische Werte – um so besser. Hier geht es darum, dass es überlebensnotwendige Punkte sind im Wettbewerb.

4. Steuern und Lernen

Die meisten Tätigkeiten in einem Unternehmen sind klar. Jeder und jede weiß, was zu tun ist. Stellen­beschreibungen, interne Leitlinien oder Qualitätshandbücher schreiben Arbeitsabläufe vor. Diese Klarheit und die traditionelle Regulierung hierzulande haben ihre guten Seiten aber auch eine fatale Folge. „Das-machen-wir-schon-immer-so“ wird zur Leitmelodie. Für die Mit­arbeiter ist das bequem, allerdings wenig reizvoll. Vor allem: Innovation findet nicht statt. Um Verbesserungen für die Kunden zu erreichen, braucht es eine andere Leitmelodie: „Das-probieren-wir-jetzt-einmal-anders“. Dazu braucht es Mitarbeiterinnen mit entsprechenden Haltun­gen: Mut, Experimentierfreude, Neugier, zu Fehlern stehen… Und es braucht Unternehmen mit entsprechender Lernkultur. Weil Mitarbeiter lernfähig sind, kann ein System lernfähig werden; wenn ein System das Lernen proklamiert, werden Mitarbeiterinnen lernwilliger.

5. Bewerten und Honorieren

Viele meinen immer noch, es sei gut und menschlich, wenn Leistungsbeurteilung nicht im Vordergrund steht. Wahre Motivation, heißt es dann, kommt nicht über Leistungsprämien, sondern über die Lust an der Arbeit. Wohl wahr. Leistung bewerten und honorieren sollte auch nicht um der Motivation willen geschehen, sondern um der Gerechtigkeit willen. Gerecht ist es aber nicht, wenn ein Mitarbeiter kreativ und initiativ seine Ziele verfolgt, wäh­rend andere um ihn herum dies nicht tun und trotzdem genauso viel verdienen oder sogar mehr. Eine Zeitlang wird dies aufgefangen durch jugendliche Begeisterung, Idealismus oder ethische Überzeugungen. Dann kommt der Frust, schließlich die innere Kündigung. Leis­tungsbewertung ist vor allem eine Möglichkeit, den Mitarbeitenden Feedback zu geben. Genau davor kneifen viele Chefs, was in Mitarbeiterbefragungen immer wieder deut­lich wird. Leistungsbeurteilung als Feedback verlangt regelmäßige Mitarbeitergespräche, in denen Vorgesetzte den Mitarbeitern ihre durchaus subjektive Bewertung offen sagen und verzichtet auf pseudoobjektive Leistungsmessung (z. B. Stückzahl oder ähnliches).

6. Informieren und Kommunizieren

Aus dem bisherigen ergibt sich folgerichtig, dass Mitarbeiter Zugang zu allen Informationen brauchen, dass das Weitergeben von Informationen und Wissen gesteuert werden muss und dass regelmäßiges und strukturiertes dialogisches Kommunizieren zu einer lernenden Orga­nisation gehören.

Personalentwicklung als unternehmerische Aufgabe

Die sechs Eckpunkte machen deutlich, dass Personalentwicklung in der Wissens­gesellschaft mehr sein muss als die fünf Tage Fortbildungsurlaub für jeden Mitarbeiter pro Jahr, mehr auch als einige Inhouse-Seminare oder das Angebot von Coaching. Es geht um Systematik und Strategie, um Innovation und Nachhaltigkeit. Ein Unternehmen muss wissen, welche Ziele es langfristig erreichen will und dementsprechend die Entwicklung der Mitar­beitenden zur unternehmerischen Aufgabe machen. Entwicklung heißt nicht, dass die Mitarbeiter Objekte sind, gleichsam entwickelt werden müssen. Sie sind Subjekte, die einen Raum brauchen, um sich selbst zu entwickeln. Das bedeutet, ein Personalentwicklungskonzept wird immer mit den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen erarbeitet.

Personalentwicklung ist kein Patentrezept für unternehmerischen Erfolg. Ergebnisse wird es nur langfristig liefern. In der Wissensgesellschaft, in der menschliche Ressourcen entschei­dender sind als Maschinen, ist Personalentwicklung schlicht not-wendig, um Unternehmens­ziele zu erreichen und Kunden zufrieden zu stellen.

 

Meinrad Bumiller

Ressource Ehrenamt – Überlegungen

Das Ehrenamt ist unverzichtbar für die soziale Kultur, heute gern als Zivilgesellschaft bezeichnet. Ehrenamtliches Engagement ist Ausdruck der Solidarität unter den Indivi­duen und – was meist zuwenig bedacht wird – schafft auch diese Solidarität. Zwischen Familie, Markt und Staat bilden die vielfältigen zivilgesellschaftlichen Akteure „soziales Kapital“. Dies befähigt Gesellschaften, Wohlstand aufzubauen und gerecht zu verteilen. Diese Akteure – Verbände, Vereine, Kirchen, Kammern, Parteien, Bewegungen, Netzwerke – aber funktionieren vor allem durch ehrenamtliches Engagement.

Eine Kathedrale bauen und nicht Steine schleppen

Warum engagiert sich jemand ehrenamtlich? Warum opfert jemand Zeit und verzichtet auf Geld? Zwei unterschiedliche Motive spielen dabei eine wichtige Rolle. Das eine könnte man Vision oder Mission nennen – das andere Herausforderung oder Aufgabe.

Menschen möchten für etwas sinnvolles arbeiten, für etwas, das größer ist als sie selbst. Sie wollen an einer Kathedrale mitbauen und nicht nur Steine schleppen. Sinnvoll ist eine Aufgabe, wenn sie offensichtlich Menschen hilft, wenn sie beiträgt, dass gemeinsame Lebensqualität entsteht. Dabei muss nicht gleich die ganze Welt verbessert werden. Es kann einfach sein, dass junge Menschen in einer Stadt eine anspruchsvolle Sportart lernen und betreiben können. Oder dass es auch im ländlichen Raum Musikveranstaltungen und Theater gibt. Eine kleine oder große Vision wird zur Mission, die antreibt.

Das andere Motiv kommt von der konkreten Tätigkeit. Weil ich gerne Ski fahre, engagiere ich mich im Ski-Club, weil ich gerne singe, schließe ich mich einem Chor an und bin dann irgendwann vielleicht im Vorstand. Weil es spannend ist, Menschen aus einem anderen Kulturkreis zu begegnen, helfe ich mit, dass Flüchtlinge aus Syrien Deutsch lernen können – und lerne dabei sogar etwas arabisch. Ehrenamtliche suchen Herausforderungen nicht Hilfsdienste. Im optimalen Fall verbinden sich Vision und Aufgabe und geben Kraft für ein dauerhaftes Engagement.

Auch ein Freizeitkicker will in einer guten Mannschaft spielen

Ehrenamtliche Arbeit ist in der Regel anspruchsvoll. Niemand wird ein Gefallen getan – am wenigsten den Ehren­amtlichen – wenn Qualifikation durch „good will“ ersetzt wird. Ehrenamtliche sind meist hochmotiviert, enthusiastisch, engagiert – manche fürchten: unqualifi­ziert, inkompetent unerfahren. Eben Amateure und keine Profis. Sie erinnern daran, dass das Gegenteil von gut nicht schlecht ist, sondern gut gemeint. Ehrenamtliche bringen natürlich viele Kompetenzen mit aus Familie und Beruf. Angesichts komplexer Aufgaben in der modernen Welt brauchen sie aber unbestreitbar Aus- und Weiterbildung, auch Teament­wicklung und Supervision. Permanente Qualifizierung kann nicht genug betont werden. Sie ist notwendig im Blick auf die Zielgruppen ehrenamtlicher Helfer – z.B. Menschen in sozialer Not, oder junge Menschen, die in einer sportlichen Disziplin aktiv sind. Aber sie ist auch entscheidende Voraussetzung dafür, dass das Ehrenamt attraktiv ist, dass es Spaß macht. Auch ein Freizeitkicker will in einer guten Mannschaft spielen!

Qualifiziertes Arbeiten wird nicht nur durch Trainings gefördert, sondern auch durch Aus­tausch und Diskussion. Wer heute das knappe Gut Zeit investiert, will dafür nicht unbedingt ein Honorar, aber ganz sicher will er eine Entwicklung für sich selbst. Und Entwicklung geschieht vor allem dialogisch. Diskussionsforen von Ehrenamtlichen, die herausfordern, in Frage stel­len, Lernen ermöglichen, sind eine notwendige Bedingung. Entwicklung geschieht, wo nicht länger nur der eigene „Kirchturm“ im Mittelpunkt steht, sondern der Hori­zont geweitet wird. Ehrenamtliche in einem Verband oder Netzwerk wollen Verbindung und Vernetzung erleben.

Kultur der Rotation

Wo ehrenamtliches Tun eher schlecht als recht gemacht wird, die Unzufriedenheit bei Adressaten und den Engagierten selbst zunimmt, liegt es oft genug daran, dass jemand sein Ehrenamt viel zu lange innehat. Was mit Elan und Engagement begann, wurde zum Schrecken ohne Ende. Und wagt dann – meist viel zu spät – jemand ein offenes Wort, fordert also einen Ehrenamtlichen zur Beendigung seines Enga­gements auf, dann kann der dies eigentlich nur als mangelnde Wertschätzung von einem langjährigen und mühevollen Einsatz auffassen. Tief verletzt wird er oder sie den Platz räumen.

Weil dieses Phänomen nicht ganz selten ist, sollte es nicht mit Schuldzuweisungen individualisiert, sondern strukturell angegan­gen werden. Ehrenämter sollten zeitlich begrenzt sein. Dies kann durch Wahl oder Berufung oder Vereinbarung geschehen. Auf jeden Fall ermöglicht es für alle immer wieder einen Neuanfang, bringt Entwicklung anstatt Verkrustung. Ehrenamt braucht eine Kultur der Rota­tion. Im Übrigen ist es sinnvoll, wenn jemand, der im Auftrag einer Institution, einer Gemein­schaft tätig ist, dies nicht nur macht, weil er oder sie sich berufen fühlt, sondern weil er oder sie tatsächlich berufen wurde. Dies muss nicht für jedes Engagement gelten, aber sicher für Leitungs-Aufgaben. Eine „Demokratisierung“ des Ehrenamtes wertet die­ses auf – verhindert aber auch Ausnutzen und Abnutzen.

Vielfalt statt Einfalt

Mief in Vereinen und Organisationen hört dann auf, wenn Verschiedene mitmachen, wenn Vielfalt statt Einfalt das Ehrenamt kennzeichnet. Räume schaffen für das Ehrenamt heißt heute: Räume schaffen für verschiedenartige Menschen. Vielfältig denken und handeln, interdisziplinär, multikulturell und auch multireligiös; Engagement formieren aus Ehrenamt und Profis, Männern und Frauen, Jungen und Erfah­renen, fachlichen und sozialen Kompetenzen. Gemeinschaften, Einrichtun­gen und Verbände, die in diesem Sinn vielfältig sind, wirken auch effektiv.

Ehrenamtliches Engagement hat etwas Anarchisches

Im Gegensatz zu Unternehmen, die sich dem Markt beugen müssen, zu großen Institutionen, die auf Subventionen angewiesen sind und zu Behörden, die viele Vorschriften beachten, können Menschen in Vereinen und Verbänden frei ihre Überzeugungen und Interessen leben. Okay, sie müssen sich an Verfassung und Recht halten – aber das ist ein weiter Rahmen. Ehrenamtlich Engagierte bringen dabei die geordnete Welt der Beamten und Funktionäre durcheinander. Sie improvisieren, wo letztere professionell planen; sie ersetzen Systematik durch Leidenschaft, Zielorientierung durch Experimentieren, Management durch Visionen. Manches davon mag sich nicht bewähren und geht unter. Aber insgesamt geschieht so gesellschaftliche Entwicklung. Die zivilgesellschaftliche Vielfalt verdankt sich dem Enthusiasmus von Laienschauspielern und Hobbymusikern, von Sensiblen und Mitfühlenden im Blick auf Armut und Not. Die heute großen und auch mächtigen Wohlfahrtsverbände begannen irgendwann als Initiative einer Handvoll Frauen und Männern, die Probleme sahen, Ideen hatten und den Mut zum Handeln. Ehrenamtliches Engagement hatte immer schon etwas Anarchisches.

Handeln nicht Herstellen

Die Philosophin Hannah Arendt hat, inspiriert von den alten Griechen, zwei Aktionsformen streng unterschieden: Handeln (griechisch: Praxis) und Herstellen (griechisch: Poiesis). Letzteres geschieht im Handwerk, braucht Werkzeuge und Technik. Ersteres entsteht vor allem aus dem Gespräch zwischen freien Menschen, die sich treffen, um etwas Sinnvolles zu tun. Sie gründen damit Gemeinschaft (Polis), werden politisch aktiv. Welt wahrnehmen, miteinander reden, spüren, was jetzt ansteht, etwas Neues anfangen – das macht für Hannah Arendt Handeln aus.

Ehrenamtliches Engagement ist Handeln nicht Herstellen – auch wenn das eine oder andere Werkzeug gebraucht wird. Für die Herrschenden, auch für Liebhaber von Ordnung und Bürokratie ist das nicht immer bequem. Kein Wunder, dass sie versuchen es einzuhegen durch Vorgaben und Richtlinien, neuerdings etwas subtiler durch Engagement-Förderung und Ehrenamts-Koordination. Weiterführend wäre eher, das vielfältige Wissen der Ehrenamtlichen fruchtbar zu machen. Partizipation statt Förderung wäre dann das Schlüsselwort. Nicht durch Studien und Gutachten eher durch Workshops oder durch einen „Rat der Weisen“ (durch Los bestimmt) aus Ehrenamtlichen.

In der Moderne wird Handeln im Geist Hannah Arendts mehr und mehr durch den Modus des Herstellens ersetzt: Management-Instrumente, Regulierungswut, dicke Handbücher mit Qualitäts-Standards, Dokumentationspflichten, eine sich laufend steigernde Bürokratisierung. Für ehrenamtlich Engagierte ist das eine unsinnige Belastung und nicht wenige werfen deshalb das Handtuch.

Gerade eine moderne Gesellschaft mit enormer Komplexität muss das Fachwissen von Experten durch das Erfahrungswissen von an der Basis Tätigen ergänzen. So entsteht kollektive Intelligenz. Für jede Organisation und für die Gesellschaft insgesamt sind die ehrenamtlich Engagierten ein unendlich großes Wissens-Reservoir. Zentralisierung von Macht und hierarchische Strukturen verhindern genau das.

 

Meinrad Bumiller

Ein modernes Bürgerbüro – Erkenntnisse aus einem Workshop

  • ermöglicht, dass Bürger alles erledigen können, was ihre Beziehung zur Kommune angeht
  • ist mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut erreichbar
  • hat kundenfreundliche Öffnungszeiten (auch Samstags)
  • ist räumlich einladend und transparent gestaltet
  • bietet einen freundlichen Warteraum
  • hat Flyer, Broschüren etc. für Bürger übersichtlich geordnet
  • hat eine elektronische Aufrufanlage
  • bietet eine herausragende Begegnungs- und Dienstleistungsqualität
  • ermöglicht Diskretion und Vertraulichkeit
  • hat fachkompetente Mitarbeiter für kommunale Fragen
  • verbindet bei komplexen Fragen mit Experten
  • ist seniorengerecht
  • ist interkulturell kompetent
  • ist kinderfreundlich (Spielecke)
  • hat Mitarbeiter, die bei übertriebenen Anforderungen von Bürgern auch freundlich nein sagen können
  • bietet telefonische Präsenz
  • bietet alle Dienstleistungen auch per Internet

Sinn suchen und Gesellschaft gestalten – Kirchliche Bildungs-Arbeit vor Ort

Bildung ist ein umstrittener Begriff. Zwei jüngere Beiträge verdeutlichen dies. Das Gelehrten-Ehepaar – Lorraine Daston und Gerd Gigerenzer – formulierte in einem Interview mit der ZEIT: „Der Begriff Bildung ist veraltet – individualistisch und romantisch“ (DIE ZEIT Nr. 4/2020, 16. Januar 2020). Am Ende des Interviews kommt doch noch ein Plädoyer für Bildung: „Die Universitäten […]

Wissens-Management in Organisationen – Zusammenfassende Thesen

Personen als Wissensträger

Personalentwicklung und lebenslanges Lernen

Eine systematische Personalentwicklung ist der Unterbau für Wissens-Management: differenzierte Angebote der Organisation und das Commitment der Mitarbeitenden, sich permanent weiterzubilden.

 

Wissensarbeit verändert Führung

Wissensarbeiter sehen sich selbst als Gleichberechtigte, nicht als Untergebene. Führungskräfte brauchen einen moderierenden Führungsstil, der das spezifische Wissen ihrer Mitarbeiter würdigt und zu einem sinnvollen Beitrag für die Ziele der Organisation zusammenfügt.

 

Organisationsstrukturen als Wissensträger

Prozess- und Wissensmanagement verbinden

Durch die Verknüpfung von Prozess- und Wissensmanagement werden die Kern-Aufgaben unabhängig von bestimmten Personen erfasst und zu den einzelnen Schritten wird Wissen in unterschiedlichen Formaten zugeordnet.

 

Kommunikation und Kodifikation

Wissen wird auf zwei verschiedene Weisen weitergegeben: Kommunikation und Kodifikation. Auf Deutsch: Wissen austauschen im Gespräch und Wissen systematisieren in Datenbanken. Beide Formen müssen als Organisation konzipiert und vereinbart, sowie von den handelnden Personen gelernt und trainiert werden.

 

Ämterübergreifende Zusammenarbeit

Kreatives Wissensmanagement in Organisationen wird die bereichsübergreifende Zusammenarbeit stärken – konstruktiv, interdisziplinär, vertrauensvoll und mit respektvoller wechselseitiger Kritik.

 

Gemeinsame Kultur als Wissensträger

Bewusstsein für die Bedeutung von Wissen

  • Wissensmanagement setzt Sensibilisierung und Bewusstseinsbildung bei den Mitarbeitenden für die Veränderungen hin zur Wissensgesellschaft und für die Bedeutung von Wissen als zentrale Ressource in der modernen Gesellschaft voraus.

 

Vertrauen als Basis für Wissens-Austausch

  • Das Nadelöhr für den Wissensfluss in jeder Organisation ist das Maß an wechselseitigem Vertrauen – Misstrauenskulturen verhindern die Weitergabe von Wissen. Es gilt die Erfahrung und Kompetenz von Mitarbeiter zu würdigen und Freiräume zu schaffen, in denen sie selbstständig agieren und sich präsentieren können.

 

Das kulturelle Gedächtnis einer Organisation

  • Organisationen sollten Wissensmanagement nicht nur als Technik für Problemlösungen und Innovationen verstehen, sondern auch als den Aufbau eines kulturellen Wissens, welches Gemeinschaft bildet, Zusammenhalt stärkt, wechselseitige Unterstützung sichert und gemeinsame Werte festigt.

 

Politische Führung und strategische Ziele

Die Vielfalt des Wissens in einer Organisation – Kenntnisse und Erfahrungen, Kompetenzen und Expertise – müssen auf Ziele und Schwerpunktthemen ausgerichtet werden. Nur dann können die Mitarbeitenden die Wissensflut meistern, Prioritäten im Arbeitsalltag setzen und notwendiges Wissen systematisch aufbauen.

 

Informations-Technologie als Wissensträger

Konsequente Nutzerorientierung

Wissensmanagement ist nicht gleichbedeutend mit moderner IT, aber es sollte konsequent alle Möglichkeiten nutzen, die moderne IT bietet. Diese müssen nutzerorientiert in Kooperation von Fachbereichen und IT-Spezialisten konzipiert werden.

 

Datenbanken und Plattformen

Datenbanken stellen Informationen semantisch verknüpft mit Aufgaben und Handlungsfeldern zur Verfügung. Plattformen ermöglichen entfernungsunabhängiges Zusammenarbeiten an Themen und Projekten und schnelles Abrufen von spezifischem Wissen.

Netzwerke als Wissensträger

Informelle Kommunikation

  • Wissen fließt am besten an informellen Kommunikationsorten, wo Menschen spontan und ungezwungen zusammenkommen. Organisationen können solche Orte und Räume bewusst schaffen.

Wissens-Gemeinschaften

Information und Wissen sind an bestimmte Relevanzkriterien gebunden. Diese werden erarbeitet in „Communities of Practice“ – Gruppen, die sich im Blick auf eine spezifische Praxis oder ein bestimmtes Thema bilden.

 

Beteiligung und Ermächtigung

Um vom Nörgeln zur Konstruktivität zu kommen, braucht es offene Kommunikation, kreative Dialog-Formate, die Ermächtigung dezentraler Arbeitsgruppen und Spielräume zum Experimentieren.

 

Meinrad Bumiller